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MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG KULTUR 07
Nr. 5 (588) MÄRZ 2023
Idole, die keine sein wollten
Das Phänomen „Korol i Schut“ und eine neue Serie über die Kult-Punker
Seit Anfang März läuft auf der Sprechweise zu eigen gemacht. Am trumente zu kaufen und qualita-
russischen Streaming-Platt- Set waren Ex-Kollegen von Gor- tiv hochwertigere Aufnahmen zu
form Kinopoisk eine Serie über schenjow anwesend. Bandmitglied Wikimedia Commons machen, arbeiteten sie nebenbei
die Kult-Punker von „Korol i Andrej Knjasew, Autor der meisten als Briefträger, Fräser oder Maler.
Schut“ (König und Narr) aus Songs, gehört zu den Produzenten. Als ihre Lieder erstmals im Radio
St. Petersburg. Was hat die 2014 Die Serie ist keine Dokumentati- gespielt wurden, war das für sie ein
aufgelöste Band zur Legende on. Sie umfasst nicht die komplet- Ereignis. 1993 folgten dann erste
gemacht? te Bandgeschichte von den ers- Auftritte in Moskau sowie das
ten Auftritten in St. Petersburger erste Studioalbum unter dem Titel
Rockclubs bis zum letzten Konzert „Wahrer Mörder“.
Von Maria Bolschakowa
beim Rockfestival „Naschestwije“, Und so ging es weiter: Konzerte,
Schon der Trailer zur Serie „Korol keine zwei Wochen vor Gorschen- immer neue Alben und Einladun-
i Schut“, die von ihren Machern als jows Tod. Sie motiviert allerdings gen zu Festivals. Trotz steigender
„Punk-Märchen“ bezeichnet wird, dazu, dokumentarisches Material Popularität reagierten die Musi-
sorgte für kontroverse Diskussio- in öffentlich zugänglichen Quellen ker verärgert, wenn sie als Stars
nen unter Fans. Während die einen anzusehen und sich so ein eigenes bezeichnet wurden. Das passte ganz
skeptisch waren, dass die Geschich- Bild von der Gruppe und ihrem und gar nicht zum Punk-Lifestyle,
te dieser prominenten Gruppe Innenleben zu verschaffen. den sie verkörpern wollten. Ihre
überhaupt in nur acht Episoden zu Obwohl es Studien und wissen- „Korol i Schut“ 2011 beim Festival „Rock an der Wolga“ in Samara Fans betrachteten sie nicht als Pub-
je 50 Minuten erzählt werden kann, schaftliche Artikel zur Geschichte likum, sondern als Gleichgesinnte.
und zudem Zweifel an der Schau- des Punk im postsowjetischen Russ- sie wählten einen neuen Namen – Band zu jener Zeit keine gedreht. In Interviews nahm sich Gor-
spielkunst der Darsteller laut wur- land gibt, erscheint es seltsam, sich „Korol i Schut“ (König und Narr). Wegen der Schauergeschichten schenjow gern Zeit, um über Musik
den, insbesondere im Hinblick auf der Subkultur auf diese Art und Nach dem Studium arbeiteten die in den Liedtexten wurde „Korol i zu philosophieren und die Werke
Frontmann Michail „Gorschok“ Weise zu nähern. Stattdessen sind Jungs als Restauratoren in der Ere- Schut“ gelegentlich im Genre Hor- von Anarchisten wie Bakunin und
Gorschenjow, fühlten sich andere Interviews, in denen sich die Betei- mitage und durften sich dort einen ror-Punk angesiedelt. Doch Gor- Kropotkin zu besprechen. Dabei
vor allem an die 2000er Jahre erin- ligten an jene Zeit erinnern, eine viel Übungsraum einrichten. schenjow hat sich zeitlebens gegen neckte er die Journalisten, fluchte
nert und an das, was die Band und spannendere Quelle. Ein besonders Was aber zeichnete die Grup- solche Schubladen gewehrt. Punk ab und zu, blieb aber stets char-
ihre Musik damals für sie bedeute- kultiges Buch über „Korol i Schut“ pe nun aus? Ihre Lieder sind oft bedeute, Regeln und Kategorisie- mant, höflich und ehrlich.
ten. Für Jüngere ist die Serie zudem stammt von Alexander „Balu“ abgeschlossene fantastische oder rungen zu brechen, sagte er. Während „Korol i Schut“ 2011
eine tolle Möglichkeit, sich mit der Balunow, dem ehemaligen Bassis- mythologische Geschichten, in „Korol i Schut“ debütierten in an einer Rockoper arbeiteten, ver-
Gruppe näher bekannt zu machen, ten der Band. Er war ein Mitschü- denen sich Begeisterung und Ver- St. Petersburger Clubs, darun- ließ Andrej Knjasew die Band, um
die von 1988 bis 2014 bestand. ler von Michail Gorschenjow und zweiflung, Bewunderung und ter dem „TamTam“. Alexander ein Soloprojekt namens „KnjaZz“
Inzwischen sind die ersten Fol- Alexander „Porutschik“ Schtschi- Schrecken vermischten. In den Balunow beschreibt diesen Club als zu verfolgen. Nach dem Tod von
gen gezeigt und vor allem Haupt- goljew, dem zukünftigen Schlag- Songs wimmelt es nur so von Vam- Ort, an dem sich Menschen unter- Gorschenjow gründeten die rest-
darsteller Konstantin Plotnikow zeuger. Zusammen gründeten sie piren, Hexen, Meerjungfrauen, schiedlicher Couleur trafen: Skin- lichen Bandmitglieder eine neue
fliegen die Herzen zu. Er ähnelt ihre erste Band „Kontora“. Später Goblins, Waldgeistern, Nekroman- heads, Rastafaris, Punks und andere Gruppe, die „Sewerni Flot“ heißt.
nicht nur äußerlich dem 2013 mit ging Gorschenjow zur Restaurie- ten, bösartigen Großvätern und feierten zusammen, ohne dass es zu Mit „Korol i Schut“ will sie nicht
39 Jahren an Herzversagen ver- rungsschule und lernte dort Andrej Zombies, wobei es den Zuhörern Konflikten kam. Von ihrer Musik verglichen werden. Das wäre auch
storbenen Gorschenjow, sondern Knjasew kennen. Diese Begegnung überlassen bleibt, sich diese Helden konnten die Bandmitglieder damals zwecklos. Denn die Punk-Legende
hat sich auch dessen Stimme und veränderte den Stil der Gruppe und vorzustellen. Musikvideos hat die noch nicht leben. Um bessere Ins- ist unvergleichlich.
Zeitreise zu den Schauplätzen des Punk
Eine aufwendige Ausstellung in Moskau hat Anfängern wie Fortgeschrittenen viel zu bieten
Selbst für Moskauer, die mit Punk dessen Auslagen sind in Form von gestellt und sind erstmals öffent-
bisher nichts anfangen konnten, Vintage-T-Shirts und einem Kleid lich zu sehen.
öffnet sich jetzt eine Tür, um Jekaterina Dolakidse von Vivienne Westwood, die den Aber wie der Name der Ausstel-
ihn quasi zu Hause zu besuchen. Stil der Punk-Mode prägte. Vor- lung schon sagt, nimmt dort auch
Die Ausstellung „Punk-Kultur. bei an einem am Boden liegenden „Korol i Schut“ breiten Raum ein.
Korol i Schut“ findet zwar nicht und mit Graffiti verzierten Telefon- Gezeigt werden unter anderem
auf der Bühne statt, sondern im häuschen, an Zeitungsausschnitten zahlreiche persönliche Gegenstän-
Winsawod, aber erzeugt so etwas und einem ABC des Punkrocks, de der Bandmitglieder, Jugendfoto-
wie Heimspielatmosphäre. Fans seiner Prinzipien und Genres, sind grafien, Schreibhefte mit Entwür-
werden sich das sowieso nicht es nur ein paar Schritte bis zu den fen populärer Lieder, die ersten
entgehen lassen. USA und einer nachgebildeten Toi- Konzertplakate und Zeichnungen
lette des New Yorker Clubs CBGB. von Solist Andrej Knjasew, nach
In dessen Räumlichkeiten traten denen die Plattenhüllen gestaltet
Von Jekaterina Dolakidse
einst The Ramones, die Misfits, wurden. Knjasew und seine Frau
Punk ist nicht tot, sondern auf ein- Patti Smith, The Dead Boys und Agata Nigrowskaja haben sich per-
mal wieder in aller Munde. Die viele andere ihren Siegeszug um sönlich an der Vorbereitung der
Kinopoisk-Serie „Korol i Schut“ die Welt an. Ausstellung beteiligt.
(siehe oben) feiert Zuschauerre- Ein weiterer Raum ist dem Punk- „Wir versaufen alles, aber dem
korde, während die Songs der Band Bei Punkern zu Hause: Einer der Räume der Ausstellung rock in der Sowjetunion gewidmet. Punk machen wir keine Schande“,
zehn Jahre nach dem Tod von Band- Fans der Gruppe „Graschdanskaja steht auf einem Ledermantel, den
leader Michail Gorschenjow die des Punk auf Kultur, Mode, Kunst Wer will, kann sich den Werde- Oborona“, die als Vater des Punks Frontmann Michail Gorschen-
Charts anführen. In Moskau haben und das Alltagsleben. gang des Punkrocks an den Aus- in Sibirien gilt, erwartet dort eine jow auf der Bühne trug. Besonde-
nun Anfänger wie Fortgeschritte- Besuchern wird am Eingang stellungswänden anlesen. Dort lau- besondere Überraschung: Aus- re Beachtung verdienen auch die
ne die Gelegenheit, mehr über die ein Audioguide ausgehändigt, der fen teilweise auch Konzertvideos, gestellt sind die Gitarre und das Dekorationen: Säulen, Särge, Sta-
Geschichte des Punkrocks zu erfah- allerdings nicht wie üblich den auf Fernsehgeräten – Ausschnitte „GrOb“-Studio von Bandleader tuen von Ungeheuern, eine Orgel
ren und in seinen Kulissen zu wan- Museumsführer ersetzt. Zu hören aus Interviews. Igor Letow. Das Tonstudio betrieb und eine mittelalterliche Taverne.
deln. Die Ausstellung „Punk-Kul- ist stattdessen Musik von den Sex Die Zeitreise zu den Schauplät- der Musiker inoffiziell in seiner Damit wird die Atmosphäre der
tur. Korol i Schut“ im Winsawod Pistols, The Stooges, NAIV und zen des Punk beginnt im England Omsker Wohnung, getreu den Songs von „Korol i Schut“ repro-
beim Kursker Bahnhof erzählt seit „Korol i Schut“. Die Tracks schal- der 1970er Jahre. Der Besucher Grundsätzen der Punk-Ethik DIY duziert, die Schauermärchen vom
Anfang März in Form von interakti- ten automatisch um, je nachdem, betritt die Ausstellung quasi durch (Do it yourself). Die Exponate Feinsten sind.
ven Exponaten, Archivdokumenten wo man sich in der Ausstellung ein Schaufenster des legendären wurden von Letows Witwe Natal- Die Ausstellung läuft noch bis
und Art-Installationen vom Einfluss gerade befindet. Londoner Modeladens „Sex“. Auch ja Tschumakowa zur Verfügung zum 31. Mai.