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MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 5 (588) MÄRZ 2023
KUNST FESTIV AL
ST A U RANT | BALLE T T | MUSEUM
Ring frei!
Unterwegs auf Moskaus neuer Metrolinie
Nagatinskij Saton
Nach rund einem Jahrzehnt
Bauzeit ist Moskaus großer Met- Zugegeben, hier machen wir ein-
roring Anfang März eingeweiht AGN Moskwa (3) zig und allein deshalb einen Halt,
worden. Die zahlreichen indivi- weil die Station so hübsch ist.
duell gestalteten Stationen laden Wir befinden uns an den Ufern
zu einer Besichtigungstour ein. der Moskwa und die Gestaltung
Da die Linie teilweise weit hinaus der jüngst eröffneten Station hat
aus dem Zentrum führt, kann die im Fluss lebenden Fische zum
man bei dieser Gelegenheit gleich Thema. Der Maler Maxim Koslow
Gegenden erkunden, in die man hat die Vorlagen für zwölf große
sonst wohl nie gekommen wäre. Mosaiken geschaffen, die Hecht,
Wir haben ein paar Vorschläge. Brasse, Barsch und Zander zeigen.
Und wenn wir schon hier sind,
warum nicht auch noch einen Spa-
Von Jiří Hönes
ziergang durch den Bezirk machen,
Am 1. März 2023 fand mit den der seinen Namen von dem eins-
letzten beiden Abschnitten der tigen Dorf Nagatino hat. Am Ufer
Bolschaja-Kolzewaja-Linie (BKL) der Moskwa gibt es auf der einen
eines der größten Moskauer Ver- Seite einen Park mit Spielplätzen.
kehrsprojekte der vergangenen Auf der anderen Seite des von
Jahrzehnte seinen Abschluss. Der einer Flussschleife umgebenen
große Metroring erschließt auf 57,5 Gebiets winken von der gegen-
Kilometern Länge ganze 31 Statio- überliegenden Seite die Zeugnisse
nen und ist mit fast allen anderen des zeitgenössischen Massenwoh-
Metrolinien verknüpft. Die Archi- nungsbaus in Moskau. Noch vor
tektur der unterirdischen Haltestel- einem Jahrzehnt hatte sich hier
Retro-Charme: Die neue Station Sokolniki erinnert an die Anfangsjahre des Metro-Baus in Moskau.
len ist zum Großteil futuristisch eine Schiffswerft befunden.
und kühl, die individuelle künstle-
rische Gestaltung nimmt oft Bezug ten der Stadt der erste Abschnitt Und wenn man schon einmal besitzt. Auch einen Vorortbahn-
zu lokalen Themen. in Betrieb, damals noch unter Hilfe hier ist, lohnt es sich, beim nahe hof gibt es hier. Die bereits Anfang Terechowo
Nicht alles ist ganz neu an spanischer Tunnelbauer. Immer gelegenen Feuerwachturm Sokol- 2021 eröffnete BKL-Station beein- Bis vor wenigen Jahren befand
der Linie. Der erste Abschnitt, wieder gehörten Teile des Rings niki vorbeizuschauen. Dabei han- druckt durch das gigantische sich hier eines der letzten Dörfer
der jetzt zur BKL gehört, wurde zu anderen Linien. Der jetzt noch delt es sich um einen der wenigen Wandbild „Schlacht der Helden“ im engeren Stadtbereich, mittler-
bereits 1969 als Abzweig von der existierende Abzweig zur Station Türme aus der vorrevolutionären des Bildhauers und Gelegenheits- weile ist es, wie so viele, eingeeb-
Samoskworezkaja-Linie eröffnet. Delowoj Zentr wird eines Tages Zeit in Moskau. Der Backsteinbau wandmalers Alexander Rukawi- net worden. Auch hier befinden
Man kann das am Design der Sta- auch ein Teil der geplanten Rubl- wurde von 1881 bis 1884 nach Plä- schnikow. Auch wenn es ein Histo- wir uns auf einem Gelände, das
tion Kachowskaja noch gut erken- jowo-Archangelskaja-Linie wer- nen des baltendeutschen Architek- rienbild aus der Alten Rus ist, passt von einer Schleife der Moskwa
nen, da sich dort der Stil der 1960er den. Umgekehrt ging jetzt ein Teil ten Max Hoeppener erbaut. Noch es thematisch leider ganz gut in die umgeben ist. Die Station ist in
mit dem gegenwärtigen vermischt. der Nekrasowskaja-Linie im Osten ein Stück weiter die Uliza Stromyn- Gegenwart. Ansonsten in die Stati- schlichtem Grau gehalten, große,
Schon in den 1970er Jahren gab es in der BKL auf. ka entlang, stößt man gleich auf das on in schwarz-weißer Space-Optik ringförmige Lampen sorgen für
einen Plan für eine große Ringlinie, Im Gegensatz zum 2016 eröffne- nächste Architekturdenkmal, den gehalten und wirkt sehr geräumig. ein stilvolles Ambiente und die
die dieses Stück im Süden beinhal- ten, 54 Kilometer langen S-Bahn- 1927 bis 1928 erbauten Rusakow- Die alte Station hatte dagegen schlanke Typografie des Stations-
ten sollte, doch zu Sowjetzeiten Ring MZK verläuft die BKL ein Arbeiterklub des Konstruktivisten mit etlichen Deckenlichtern das schriftzugs macht die Eleganz per-
wurde er nicht mehr realisiert. ganzes Stück weiter südlich. Wäh- Konstantin Melnikow. Heute befin- Thema der Umgebung aufgegrif- fekt. Wer einem Stadtviertel beim
Danach hatte man andere Pro- rend der MZK im Norden teilwei- det sich in dem Gebäude ein Thea- fen, das namengebende Elektro- Entstehen zusehen will, der muss
bleme. Erst 2012 fiel schließlich se durch Wald und Wiesen führt, ter. Und wer noch eine Runde spa- sawod, ein Glühlampenwerk. Der hier unbedingt aussteigen. Man
der Beschluss, die BKL zu bauen. liegt sein Südabschnitt noch in zieren gehen möchte, der braucht neogotische Bau war bereits vor befindet sich in einem Meer von
Sechs Jahre später ging im Wes- den Ausläufern der Innenstadt mit nur auf der anderen Straßenseite der Revolution begonnen worden, Baustellen, in ein paar Jahren soll
Haltestellen wie Luschniki oder den Sokolniki-Park anzusteuern. zunächst hatte er der Produktion hier ein komplett neues Quartier
Gagarinskij Prospekt. Bei der BKL Wer gleich weiterziehen will, der von Gummiwaren gedient, erst entstehen.
INFO
ist dies genau umgekehrt, sie läuft folgt der BKL im Uhrzeigersinn. in den 1920er Jahren begann hier
Sammelobjekt im Norden durch die Stadt und holt der Siegeszug der Glühbirnen und Rischskaja
im Süden so weit aus, dass man in noch heute werden hier Transfor-
Ecken Moskaus gelangt, in die man Elektrosawodskaja matoren hergestellt. Die Station, die ihren Namen
sich sonst wohl nie verirrt hätte. Wir steigen eine Station weiter, Wer jetzt vor der Weiterfahrt vom hier gelegenen Rigaer Bahn-
an der Elektrosawodskaja, schon noch eine Stärkung sucht, findet hof hat, besticht durch Kontras-
wieder aus. Hier trifft die BKL auf auf dem Preobraschenskij Rynok, te. Der Bahnsteigbereich mit sei-
Sokolniki die Arbatsko-Pokrowskaja-Linie, einem großen Markt, mit Sicher- nen silbernen Torbögen erinnert
Wir beginnen unseren Ausflug die eine Station gleichen Namens heit etwas Leckeres. etwas an das 2009 abgerissene
dort, wo auch die Geschichte der Ruhmesdenkmal in Tbilisi, das als
Moskauer Metro begann, an der „Andropows Ohren“ oder „Sche-
Station Sokolniki. Am 15. Mai wardnadses Kardiogramm“ in die
Wann immer ein neuer 1935 wurde der erste Abschnitt von Geschichte einging. Im Gegensatz
Abschnitt der Moskauer hier zum Park Kultury mit einem zu diesem hellen Bereich wirken
Metro eröffnet, sind die Fans Abzweig zur Station Smolenskaja die Tunnelwände auf der Gleissei-
und Sammler unterwegs. eröffnet. Die BKL schneidet hier te dunkel und roh wie ein Berg-
Denn Mosgortrans gibt zu die rote Sokolnitscheskaja-Linie werksstollen im Kusbass. Sicher
jeder neu eingeweihten Sta- und die neue Station greift gestal- eine der interessantesten Statio-
tion eine Sonderedition der terisch die Geschichte der Mos- nen der BKL.
Troika-Karte heraus, meist in kauer Metro auf. Fragmente alter An der Oberfläche lädt der
einer limitierten Auflage von Plakate aus der Entstehungszeit Rischskij Rynok, Moskaus größter
10 000 Stück. Diese zeigen in zieren die reflektierenden Decken, Blumenmarkt, zu einem Besuch
der Regel die jeweilige Archi- sodass die Fahrgäste in eine sowje- ein. Der Rigaer Bahnhof dagegen
tektur und sind auch nur dort tische Retro-Welt eintauchen. Die ist zurzeit wegen Umbauarbeiten
erhältlich. Zur Eröffnung der Wände und Säulen sind mit Mar- geschlossen. Die wenigen Züge,
BKL gab es nun auch eine mor verkleidet, der Boden ist, wie die hier normal fahren, steuern
Linien-Sonderausgabe. bei vielen BKL-Stationen, aus glän- Mit riesigen Mosaiken nimmt die Station Nagatinskiy Saton stattdessen den Belorussischen
zendem Granit. Bezug auf die heimischen Süßwasserfische. Bahnhof an.