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MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG DEUT SCHE RUSSLANDS 11
Nr. 14–15 (645–646) AUGUST 2025
Mal zum TMS kommen, als auch wa. Sie leitet eine Initiative von seinen Schätzungen warten 90 schwang das Pendel in die andere
INFO
bei Touristen, die von der „härtes- Bewohnern, die für eine Umsied- Prozent der Bewohner des Viertels Richtung.
ten Stadt Russlands“ asphaltierte lung kämpfen, und steht Journa- ungeduldig darauf, dass die Gebäu-
Plätze und trostlose Plattenbau- listen gerne Rede und Antwort. de abgerissen werden und sie neue „Regionaler Aspekt“ ist das
ten erwarten, aber keineswegs von In zahlreichen Interviews zählt sie Wohnungen bekommen. Nicht mehr Kulturerbe Ergebnis der Arbeit einer
Grünflächen umgebene europäi- detailliert die Probleme auf, die 2021, nach zwei Gutachten und Gruppe regionaler Journa-
sche Stadthäuser. sich über Jahrzehnte angesammelt einer Reihe von Gerichtsverfahren, listen, die die Probleme der
haben: Die Wände bröckeln, die Der Kampf um das verschwand das deutsche Viertel Bewohner russischer Regionen
Kanalisation ist überlastet, ständig Viertel aus der Liste des Kulturerbes. Als aus erster Hand kennen.
Ein anderer gibt es Rohrbrüche, die Dachbal- Im Sommer 2016 kamen erneut bemerkenswert gelten Paläste, Kir- regaspect.info
Blickwinkel
ken verrotten. In diesem Sommer Gerüchte über einen bevorstehen- chen, „sozusagen St. Petersburg“,
„Was über die architektonische ist während eines Regengusses in den Abriss der deutschen Häuser kommentiert Ilja Prontschenko. „V lesah“ (in den Wäldern)
Schönheit gesagt wird, kann ich einem der Häuser das Dach einge- auf. Tatjana Pellenen, die aus dem Aber Tscheljabinsk ist keine Palast- ist ein Medium über das Erbe
persönlich nicht nachvollziehen: stürzt. Nicht zum ersten Mal. Tat- Metallurgischen Bezirk stammt, stadt, sondern eine Industriestadt, der Regionen Russlands. Es
Das ist kein Denkmal! Die Ziegel- jana hält die Architektur des Vier- beschloss, sie zu schützen. Für sie entstand in einer Reihe von berichtet über die Kultur der
steine fliegen nur so davon“, sagt tels für einen „Mischmasch“ und sie ist das Viertel wichtig, auch Arbeitersiedlungen und den soge- Regionen und lokale Bürger-
eine Bewohnerin des Viertels. Und „Pornografie“. Über den Zustand als Erinnerung an ihre persönli- nannten Sozialistischen Städten, initiativen.
das ist keine Übertreibung. Auf der Gebäude sagt sie: „Die Kon- che Geschichte: Ihr Großvater, ein sagt Prontschenko. vlesah.com
Panoramafotos sehen die deut- struktion ist zu hundert Prozent Finne, wurde 1937 nach Kasach- Allerdings sehen die Behörden
schen Häuser malerisch aus, aber abgenutzt.“ stan deportiert und als der Krieg gerade in den Bauten der 1930er
wenn man näher kommt, fällt der Die offiziellen Daten stimmen begann, auf die Baustellen im Ural und 1940er Jahre keinen beson- Die Chance, dass die deutschen
schlechte Zustand auf. Zwischen zwar nicht überein, denn bisher geschickt. deren Wert. Den Status eines Kul- Häuser im Rahmen des KRT erhal-
den Ziegelsteinen klaffen Lücken, wurde noch keines der Häuser als Pellenen beantragte die Aufnah- turerbes hat nur die vor dem Krieg ten bleiben, ist verschwindend
viele davon sind abgesplittert und baufällig eingestuft. So kam der me der Gebäude in das Register erbaute „Stadt der Tschekisten“, gering. Keines der genehmigten
rissig, der Mörtel bröckelt ab. Ausschuss für Vermögens- und für Kulturerbe. Das kann jeder tun, die für die Führung des NKWD Projekte zur komplexen Entwick-
So machen sich die Besonderhei- Landverwaltung bei einer erneu- sagt sie, man muss nur begründen, errichtet wurde. Außerhalb von lung von Gebieten in Tscheljab-
ten des Bauwesens in Kriegs- und ten Überprüfung zum Schluss, dass warum das Objekt geschützt wer- Tscheljabinsk gibt es noch das insk sieht auch nur eine teilweise
Nachkriegszeiten bemerkbar. Für der Zustand der deutschen Häuser den soll, und die gefundenen Doku- Viertel Nr. 1 der Sozialistischen Erhaltung der bestehenden Bebau-
die Außenverkleidung verwende- zufriedenstellend sei – sie seien zu mente und Fotos beifügen. Sie sagt, Stadt Magnitogorsk. Es wurde nach ung vor.
ten die Häftlinge damals poröse nicht mehr als 40 Prozent abge- dass es mit den Fotos mehr oder einem Entwurf von Ernst May und Der Grund für diesen Ansatz ist
Ziegelsteine. Aufgrund ihrer Fähig- nutzt. Dabei hatten die Bewohner weniger gut ging, aber die Unterla- anderen Architekten Des Neuen klar: Um die Baukosten und die
keit, Feuchtigkeit gut aufzuneh- Dokumente mit anderen Angaben gen waren ein Problem. Es handel- Bauens errichtet. Im vergangenen Umsiedlung der Menschen, die
men, eignen sie sich für die Wär- in der Hand. „Unsere baufälligen te sich um eine Regime-Baustelle Jahr wurde es als Denkmal von gemäß den Bedingungen des KRT
medämmung, Isolierung und den Bruchbuden sind plötzlich verjüngt des NKWD, und es war schwierig, föderaler Bedeutung in das Register vom Bauträger zu tragen sind, zu
Innenausbau, aber nicht für die worden und offenbar bereit, noch etwas darüber in den Archiven zu aufgenommen. Das deutsche Vier- amortisieren, sind mehr Wohn-
Verkleidung. Als der Ton für die hundert Jahre zu stehen“, schrieben finden. tel ist in dieser kurzen Liste nicht flächen erforderlich. Nach Beob-
Ziegelsteine nicht mehr ausreich- die Eigentümer. Sie stieß nur auf Zeitungsaus- enthalten. Genauer gesagt, es ist achtungen von Juri Latyschew ist
te, fügte man der Mischung Sand Die Qualität der durchgeführten schnitte und die Erwähnung, dass nicht mehr da. das Interesse der Investoren an
sowie Schlamm und Muscheln vom Reparaturarbeiten stellt die Men- „ein gewisser Heizer mit deutschem der Sanierung seit Kriegsbeginn
Grund eines nahe gelegenen Sees schen ebenfalls nicht zufrieden. Nachnamen irgendwelches falsches zurückgegangen, und an TMS war
hinzu. Sie halten die Gebäude gerade so Brennholz zersägt hat“, erzählt die Ein passender Rahmen es ohnehin nicht besonders groß.
Die Häuser wurden ohne Keller „über Wasser“ und verursachen Aktivistin. Dennoch reichten die Während des Gerichtsverfahrens Schließlich handelt es sich um einen
gebaut, mit Holzdecken und einer manchmal sogar noch größere Pro- gesammelten Materialien aus. Im schlugen die Denkmalschützer vor, abgelegenen Stadtteil mit einer
Versorgung, die weit von den heu- bleme. Vor einigen Jahren entstan- Januar 2017 wurden sieben Häuser einen Runden Tisch zum Thema bedenklichen Umweltsituation.
tigen Standards entfernt war. Ohne den während der Arbeiten Risse in in der Sozialistischen Straße in die „deutsches Viertel“ einzuberufen, Grund zum Optimismus gibt die
die nötige Pflege verwandelte sich einem der Häuser. Einige Gebäude Liste der identifizierten Kulturer- doch dies gelang nicht. umfassende Renovierung des deut-
das einst komfortable Wohnviertel des Viertels werden nicht mehr von bestätten aufgenommen. Die Gerichtsverfahren endeten, schen Hauses im selben Viertel, in
mit der Zeit in eine fast baufällige einem Kommunalunternehmen Der neue Status erfreute die und die Behörden vergaßen das der Degtjarjowa-Straße 68. Die
Siedlung. In den 90er Jahren gab es bedient. Laut Kondratjew wollen Denkmalschutzgemeinschaft, aber Viertel erneut. Aber dann gab es für Arbeiten dort erfolgten vor zwei
Gerüchte, dass es bald abgerissen diese „die Häuser nicht überneh- nicht die Anwohner. Diese hatten die Befürworter der Umsiedlung Jahren: Die Bauarbeiter erneuerten
werden würde. Damals verließen men und versuchen unter verschie- sich bereits auf den lang ersehn- einen neuen Hoffnungsschimmer: das Dach, brachten neue Balkone
viele Fabrikarbeiter den TMS, und denen Vorwänden, sich von ihnen ten Umzug vorbereitet, „aber dann das Programm zur komplexen Ent- mit Flügeltüren an, verputzten alle
neue Bewohner zogen in die Woh- zu distanzieren“. wurden die Häuser plötzlich zum wicklung von Gebieten (KRT). Es Fugen im Mauerwerk und trugen
nungen ein. Sie hofften, diese bald Es gibt einige Familien, die Kulturerbe erklärt“, beklagte sich startete 2021 in der Region Tschel- einen speziellen wasserfesten Lack
gegen Quadratmeter in Hochhäu- beschlossen haben, nicht auf die Tatjana Perewersewa. jabinsk. Aktive Anwohner orga- auf.
sern eintauschen zu können. nächste kommunale Katastrophe Gleichzeitig schwand auch die nisierten eine Versammlung der Der Historiker Ilja Prontschenko
zu warten. Sie führten Reparaturen Hoffnung auf eine Grundsanie- Eigentümer und reichten im Juli schlägt vor, nicht nur die Häuser
selbst durch. Sie haben die Wände rung: Es musste erneut ein Auf- Unterlagen ein, um die deutschen selbst, sondern auch das umliegen-
Architektonische gedämmt, Fenster und Leitungen tragnehmer unter den lizenzierten Häuser in das Renovierungsprojekt de Gebiet in ein mögliches Sanie-
„Pornografie“ ausgetauscht. Sie sind stolz auf ihr Organisationen gesucht werden, aufzunehmen. Bislang wurden nur rungsprogramm aufzunehmen.
Eine derjenigen, die damals in Zuhause, sagt Alexej Kondratjew, die sich mit Restaurierungsarbeiten vier von sieben Gebäuden in das Insbesondere soll die Sozialistische
die deutschen Häuser gezogen und wollen nicht umziehen, aber befassen. Die Kosten für die Repa- Projekt aufgenommen. Straße für Fußgänger attraktiver
sind, war Tatjana Perewerse- sie sind in der Minderheit. Nach ratur stiegen spürbar an. Aber dann gestaltet werden. „Man muss einen
passenden Rahmen für die Häuser
schaffen. Etwas, das das imaginier-
VK Museum des Tscheljabmetkombinat Anna Wyrupaewa bringt“, meint Prontschenko.
te Europa bestmöglich zur Geltung
Es gibt auch Beispiele – wenn
auch bislang nur vereinzelte – für
die Erhaltung historischer Gebäude
im Rahmen des KRT.
Allerdings wird das sowjetische
Erbe, die Gebäude aus den 1930er
bis 1950er Jahren, weniger sorgfäl-
tig behandelt, insbesondere wenn
es sich nicht um Meisterwerke des
Konstruktivismus oder Paläste aus
der Stalin-Ära handelt. Eine Aus-
nahme bildet das gut ausgestattete
deutsche Viertel in Magnitogorsk.
Jetzt liegt es an den Stadtbehörden.
Sie können über den Erhalt oder
Abriss der Häuser entscheiden.
Gekürzte Fassung
Inhaftierte auf der Baustelle der Metallurgen. Im Hintergrund ist ein Kontrolltsturm zu Innen sehen die „deutschen“ Häuser nicht *in Russland als ausländische
sehen. gerade prachtvoll aus. Agenten eingestuft.