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MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG REGIONEN 13
Nr. 14–15 (645–646) AUGUST 2025
PERSON Zwei güldene
Der unfreie Architekt: Alexander Lepkowski Schlüssel im
„Paris Sibiriens“
Eine der schönsten Straßen in verurteilte ein Militärgericht Leningrader Stadtrats und in sei-
kolymastory Magadan ist die Portowaja. Das den 30-jährigen Architekten zur ner Heimatstadt Saratow.
Haus mit einem Turm ist zu einem
Für gute Arbeit konnten die
Höchststrafe. Einen Monat später
Symbol der Stadt geworden. Die wurde die Todesstrafe für Lep- Häftlinge sogenannte Abzüge
Ausdruckskraft der Fassaden, die kowski in eine zehnjährige Haft- erhalten – eine Verkürzung ihrer
Bögen zwischen den Häusern, strafe umgewandelt. Nachdem er Haftstrafe. Für seine fleißige
die Brüstung, die Säulen – die im Dezember 1944 in Magadan Arbeit wurde Lepkowski die Haft- Aus dem Archiv von Xenija Samokrutowa
Portowaja erinnert an St. Peters- angekommen war, entwickelte strafe um drei Jahre verkürzt. Im
burg. Man kann sich vorstellen, Lepkowski bereits im Januar 1945 September 1951 wurde er freige-
von welchen Stimmungen der unter der Leitung des Chefinge- lassen. Aber er durfte nicht auf
Architekt Alexander Lepkowski, nieurs des Projektbüros Dalstroj, das „Festland“. Das neue Urteil
inspiriert war, als er mit Tinte auf Nikolai Jurgenson, einen neuen lautete lebenslange Ansiedlung in
Transparentpapier die Stadt zeich- Bebauungsplan für die Stadt. Als Magadan mit der Verpflichtung,
nete, die ironischerweise für viele Absolvent des Leningrader Ingeni- sich am 3. jedes Monats bei den
Jahre zu seinem Gefängnis wurde. eur- und Bauinstituts verfügte er Strafverfolgungsbehörden zu mel- Von den Ufern der Ostsee bis zu
Wie viele Russlanddeutsche wurde zu diesem Zeitpunkt bereits über den. Erst 1960 gelang es Lepkow- der einzigartigen Vulkanlandschaft
Alexander Lepkowski auch die Familie Lepkowski nach umfangreiche Berufserfahrung ski, Magadan zu verlassen. 1992 und tausenden von Bären auf Kam-
hat die Hauptstraße in Sibirien deportiert. Im Juni 1944 in der Architekturabteilung des wurde er rehabilitiert. tschatka, vom arktischen Abenteu-
Magadan gestaltet. er um Jakutsk bis zur mondänen
Kulisse von Sotschi am Schwarzen
Meer – und so viele Reiseattrakti-
Natur, das endlose Meer und die chen wie der Winter am Baikalsee. onen quer und längs durchs ganze
atemberaubenden Ausblicke. Solch unglaubliche Farben in allen Riesenland dazwischen. Aber vie-
Schattierungen von leuchtendem lerorts mangelhafte Infrastruktur,
Grün bis hin zu Rot und Orange entwicklungsbedürtige Hospita-
Jack-London-See findet man nur selten. Eine Wande- litätsangebote und international
Einer Geschichte zufolge erhielt rung mit Zelten mit „Twoja Koly- fragwürdige Serviceleistungen sind
der See seinen ungewöhnlichen ma“ dauert durchschnittlich acht Dauerklagen über den wirtschaft-
Namen 1932 dank Geologen, die Tage. Die Reise beginnt in Magadan lich lukrativen, doch zurückgeblie-
am Wasser entspannten und über mit einer langen Fahrt auf der Koly- benen Tourismusboom in Russ-
die Werke von Jack London dis- mastraße bis zur Siedlung Jagodno- land. Dabei entdecken zwangsläu-
kutierten. Die Geschichten dieses je: von acht bis neun Stunden Fahrt fig immer mehr anspruchsvolle
Schriftstellers über den Kampf ums auf einer unbefestigten Straße und russische Landsleute die vielfälti-
Überleben im Norden entsprechen danach noch bis zu sechs Stunden ge, konkurrenzfähige Natur ihres
dem Geist dieser Region. mit einem „komfortablen Ural- Landes.
Der kristallklare Wasserspie- Lkw“, wie Denis scherzt. Vor diesen Hintergründen macht
gel erstreckt sich zwischen hohen Für Touristen, die auf solche der Karrieresprung von Xeni-
Bergketten und geheimnisvollen Strapazen nicht vorbereitet sind, ja Samokrutowa beeindrucken-
Die majestätischen Zeitgenossen der Mammuts: Moschusochsen
Wäldern und schafft eine erstaun- gibt es einen leichteren Weg. Man de Schlagzeilen. Sie ist die junge,
liche Landschaft, die jeden, der sie kann mit dem Hubschrauber zum hübsche, penibel ausgebildete,
betritt, sofort in ihren Bann zieht. See gelangen. Mit solch einem schon reichlich erfahrene Chef-
Der See ist etwa zehn Kilometer Transport wird die Ausflugsdauer concierge im gerade eröffneten,
lang und durchschnittlich zwei auf einen Tag reduziert. Allerdings luxuriösen Edel-Hotel „Rodina“ der
Kilometer breit. Im Winter friert er kann man in diesem Fall am See Stadt Irkutsk, die zu ihrer Hoch-
vollständig zu (die Temperaturen selbst lediglich drei Stunden ver- Zeit Ende des vorletzten Jahrhun-
fallen hier auf bis zu -50° C), aber weilen. Denis zufolge sei die idea- derts als „Paris Sibiriens“ apostro-
im Sommer verwandelt sich die le Reise zum See eine Wanderung phiert wurde. Dazu noch die Nähe
Umgebung: Tundra-Pflanzen blü- dorthin und die Rückfahrt nach zum Baikal, das „Heilige Meer“
hen und verleihen der Landschaft Magadan mit dem Hubschrauber. der Russen. Er ist der tiefste, mit
leuchtende Farben. Es ist wichtig zu beachten, dass mehr als 25 Millionen Jahren wohl
„Ich glaube, Anfang September beide Optionen nicht billig sind. der älteste und der wasserreichste
ist die beste Zeit für einen Besuch Während meiner einwöchigen Süßwassersee der Erde, umgeben
des Jack-London-Sees“, sagt Denis Reise nach Magadan habe ich es von atemberaubenden Landschaf-
Schewtschenko, Reiseleiter der nicht bis zum See geschafft. Aber ten mit mystischer Ausstrahlung.
Tourismusorganisation „Twoja in meinem Notizbuch ist es nun Xenija, hier geboren und ver-
Kolyma“. Tatsächlich ist der Herbst eines meiner wichtigsten Ziele für wurzelt, ist die erste in der Regi-
Der Reiseleiter Denis Sсhewtschenko liebt die Region Kolyma.
in Kolyma genauso ein Markenzei- die absehbare Zukunft geworden. on, die von ihrer internationalen
Berufsvereinigung Les Cléfs d’Or
die weltweit begehrte und höchst
Anna Braschnikowa Anna Braschnikowa Anna Braschnikowa anerkannte Qualifikationsaus-
zeichnung verliehen bekommen
hat: Stolz und seit jüngst glitzern
zwei gekreuzte, güldene Schlüssel,
das Marken- und Gütezeichen der
Profi-Vereinigung, am Revers ihres
dunkelblauen Blazers. Die signali-
sieren und garantieren nach akribi-
schen Tests durch die Fachprüfer,
das die Verbandsforderungen so
eingehalten werden, dass der Con-
cierge-Service nicht nur in makel-
loser Erinnerung der betreuten
Gäste bleibt, sondern ihnen zu Her-
zen geht. Sie sehen sich als zuver-
lässige, versierte Gastgeber, die
auch die Erfüllung ausgefallenster
Wünsche möglich machen. Kse-
nia ist jetzt schon feste dabei, aus
ihrem heimischen Repertoire ein
Buch zu machen. Die Botschafterin
einer neuen Generation russischer
Das Monument „Maske der Trauer“ Drinnen in der „Maske der Trauer“ Ein Schild: Hospitalität im fernen Sibirien ist
erinnert an die Geschichte der Region. findet man eine Einzelzelle. Bären nicht füttern!
sie nun schon. Frank Ebbecke