Page 19 - 589
P. 19
10 |11
MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 6 (589) MÄRZ 2023
KUNST FESTIV AL
ST A U RANT | BALLE T T | MUSEUM
Gegen alle Widerstände
Wie die bucharischen Juden sie selbst blieben
Im usbekischen Buchara hat es wurden jedoch verpflichtet, eine von Usbekistan. „In dieser Zeit
die wenigsten von ihnen gehal- spezielle Steuer zu zahlen, durften fing der Exodus an. Und obwohl
ten, als die Grenzen durchlässig keine staatlichen Ämter bekleiden die Atmosphäre der bucharischen
wurden. Doch die bucharischen und bestimmte Kleidungsstücke Juden noch deutlich zu spüren
Juden pflegen ihren Glauben, tragen. Außerdem mussten Syna- war, klagten die Leute, dass Tra-
ihre Traditionen und ihre Spra- gogen so gebaut werden, dass sie dition und Kultur verlorengingen.
che auch fern der Heimat, so wie die Moscheen nicht überragten. Schließlich hatte man unter Seines-
zuvor erst unter islamischer, dann Gewöhnlich wohnten die Juden gleichen gelebt. Heute ist man über
unter sowjetischer Herrschaft. in ihren eigenen Vierteln, wo sie den gesamten Erdball verstreut.“
Nun ist ihnen eine Ausstellung im über eine gewisse Selbstverwaltung Damals, so Lasar, hätten keinerlei
Haus der Luschin-Brüder (1909) in der Kirow-Straße 28b
Jüdischen Museum gewidmet. verfügten. Die Gemeinde hatte Strukturen existiert, um die Bewah-
ihren Vorsteher, den sogenannten rung der Traditionen zu unterstüt-
Kalontar. Für das religiöse Leben zen. Heute, da es praktisch in jedem
Von Jekaterina Dolakidse
war der Rabbiner zuständig. Land Gemeinden der bucharischen
Bucharische Juden leben heute auf Im 18. Jahrhundert entstanden Juden gebe, sei das ganz anders.
der ganzen Welt, sei es in Samar- in Zentralasien drei Machtzent- „Die räumliche Zersplitterung hin-
kand, Duschanbe, New York, Wien ren: das Emirat von Buchara sowie dert sie nicht daran, überall ihr
oder Jerusalem. In Deutschland die Khanate Kokand und Chiwa. Zuhause zu haben und die Tradi-
wurde ihre Zahl 2020 mit andert- Die größte jüdische Gemeinschaft tionen zu leben. Küche, Kleidung,
halbtausend angegeben. Allein 300 war in Buchara konzentriert. Aus Sprache – all das ist sogar bei der
davon sind in Hannover zu Hause, diesem Grund bezeichneten Rei- jüngeren Generation, den Kindern
wo 2002 die erste Gemeinde der sende aus Europa die zentralasi- und Enkeln zu finden.“
bucharischen Juden auf deut- atischen Juden als bucharisch. Diese faszinierende Geschichte
schem Boden gegründet wurde. Ende des 19. Jahrhunderts ging aus mehr als zwei Jahrtausenden
Solche Gemeinden gibt es mittler- das Khanat Kokand im russischen mag auf den ersten Blick von loka-
weile in allen möglichen Ländern. Imperium auf. Das Emirat von ler Natur und begrenztem Inter-
Sie seien ein „exemplarisches und Buchara und das Khanat Chiwa esse für die breite Öffentlichkeit
Haus des Kaufmanns Potapenko (1903) in der Kirow-Straße 36
äußerst interessantes Beispiel für gerieten zunächst unter das Protek- erscheinen. Doch dass sie nun im
die Bewahrung der Eigenheiten torat Russlands, blieben nach innen Fokus der Ausstellung im Jüdi-
einer Volksgruppe“, deren Ange- jedoch selbstständig. schen Museum steht, hat durch-
hörige zum überwiegenden Teil In den 1920er Jahren wurde hier aus einen tieferen Sinn. Denn die
aus ihrer angestammten Heimat die Sowjetmacht ausgerufen und Frage, wie sich die Bewahrung von
in Zentralasien ausgewandert sind, das Territorium an die Sowjetunion Identität und Tradition mit äuße-
sagt Alexander Boroda, der Leiter angegliedert. Für die bucharischen ren Faktoren wie der Auflösung
des Jüdischen Museums und Tole- Juden hatte das eklatante Folgen: herkömmlicher Lebensverhältnisse
ranzzentrums in Moskau. Dort Ihre Gemeinden wurden aufgelöst, und der Globalisierung verträgt, ist
läuft seit dem 3. März und noch die jüdischen Kaufleute enteignet. von allgemeinem Charakter.
bis zum 18. Juni die Ausstellung Mit der Zeit zog auch die Zerstö- In der Ausstellung vermit-
„Bucharische Juden: Am Schnitt- rung der jüdischen Kultur immer teln Objekte der Volkskunst, des
punkt der Zivilisationen“. weitere Kreise: Der bucharisch- Alltagslebens und der Religion,
Die bucharischen Juden sind jüdische Dialekt wurde aus der magische Amulette, Elemente
Abkömmlinge einer jüdischen Liste der Sprachen der Sowjetvöl- der häuslichen Inneneinrichtung
Urbevölkerung, die sich in der ker gestrichen, alle Schriftquellen sowie historische Dokumente und
zentralasiatischen Region zwi- mussten ins Kyrillische übertragen Fotografien einen Eindruck von
Haus des Händlers Rybkin (1913) in der Fadejew-Uferstraße 10
schen dem sechsten und vierten werden. Bildungs- und Kulturein- der Welt der bucharischen Juden.
Jahrhundert vor unserer Zeitrech- richtungen wurden geschlossen. Besucher erfahren etwas über ihre
nung niederließ. Die Eroberung Als die Sowjetunion zerfiel, kehr- berufliche Tätigkeit, etwa im Han-
dieses Gebiets durch die Araber im ten die allermeisten bucharischen del, in Färberei- oder Juwelierge-
8. Jahrhundert ging mit deren Isla- Juden Zentralasien den Rücken. schäft, über Musik- und Theater-
misierung einher. Doch die meisten Russlands Oberrabbiner Berl Lasar kunst, Hochzeitstraditionen, reli-
Juden bewahrten ihren Glauben. erzählt, wie er 1987 zum ersten Mal giöse und magische Riten und den
Sie konnten ihre Religion ausüben, in Taschkent war, der Hauptstadt Aufbau der Synagogen.
3 SHOW 4 AUSFLUG
Jüdisches Museum
ES LEBE DIE MAGIE AUF NACH MYSCHKIN
Eine dreitägige Tour in die Klein-
wonder-circus.ru stadt Myschkin an der Wolga hat
der auf Flussreisen spezialisierte
Reiseveranstalter Wodochod im
Programm. Die Fahrt mit dem
Kreuzfahrtschiff „St. Petersburg“
kostet ab 27 550 Rubel pro Per-
son mit Vollpension an Bord.
Der „Zirkus der Wunder“ macht
den „Kleinen Prinzen“ zu einem
Spektakel für kleinere Kinder, kruiz.online
wobei die Grenzen zwischen den
Genres fließend sind. Die nächs-
te Vorstellung findet im Kultur-
zentrum Moskworetschje statt.
8. April, 12 Uhr 5. bis 7. Mai
Der kleine Prinz Ab/an Flussbahnhof Nord
Kaschirskoje Schosse 52 Leningradskoje Schosse 51
Kaschirskaja Retschnoj Woksal
wonder-circus.ru vodohod.com
Kopfkino: In der Ausstellung beschwören Gewürze Bilder von orientalischen Märkten herauf.