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02 BLICKPUNK T MOSKAUER DEUTSCHE ZEITUNG
Nr. 5 (588) MÄRZ 2023
Nachhaltige Unterstützung gefordert
Bernd Fabritius über die Aufnahme von Spätaussiedlern
Anfang 2021 hat das Bundes-
verwaltungsgericht eine Ent- IVDK ZUR PERSON
scheidung getroffen, deren sehr
restriktive Auslegung heute zu Bernd Fabritius
Ablehnungen von Aufnahmean-
trägen führt. Darauf hat bereits RA Prof. Dr. Bernd Fabritius
die Aussiedlerbeauftragte Natalie ist Rechtsanwalt in München.
Pawlik reagiert. Jetzt kommt Er unterrichtete Verwaltungs-
ihr Vorgänger zu Wort. Bernd recht und Verwaltungsprozess-
Fabritius, Präsident des Bundes recht an der Fachhochschule
der Vertriebenen, bekleidete den der Sächsischen Verwaltung
Posten des Beauftragten der Bun- Meißen, an der Juristischen
desregierung für Aussiedlerfragen Fakultät der Universitäten
und Nationale Minderheiten von ULBS Hermannstadt sowie der
2018 bis 2022. Europauniversität ROGER Her-
mannstadt. Von 2013-2017
Sehr geehrter Herr Dr. Fabritius, sowie 2021 war er Mitglied
in den letzten Monaten errei- des Deutschen Bundestages
chen uns zahlreiche Beschwerden und von 2018-2022 Beauf-
über Ablehnungen von deutschen tragter der Bundesregierung
Landsleuten, obwohl diese ganze für Aussiedlerfragen und
Stapel von Papieren vorgelegt Nationale Minderheiten. Seit
haben. Was können wir diesen 2014 ist er Präsident des
Landsleuten sagen? Bundes der Vertriebenen.
Es kommt nicht auf die Menge der
vorgelegten Papiere an, sondern
auf deren Inhalt. Die drei Voraus- Bernd Fabritius (rechts) im Deutsch-Russischen Haus Moskau 2021 rin Juliane Seifert (SPD) und kurze
setzungen für eine Anerkennung Zeit vor meiner Entlassung, noch
und Aufnahme als Spätaussiedler gestellt und entschieden werden kann ich noch nicht sagen. Ich erheblichen Veränderungen teilnehmen. Bei dieser Beratung
nach dem BVFG sind sehr klar muss, sondern dass der Antrag wünsche mir hier die Unterstüt- geführt, die eine Anpassung des habe ich meine ganz erheblichen
geregelt: Es muss die Abstammung auch nach der Flucht in Deutsch- zung aller Entscheidungsträger. Aufnahmeverfahrens an neue Bedenken formuliert, so wie diese
von deutschen Volkszugehörigen, land gestellt werden kann. Wichtig Nach meiner Meinung könnte das Lebensrealitäten der Betroffenen auch in der Urteilsbesprechung zu
die hinreichende Beherrschung ist aber, dass selbstverständlich alle zuständige Bundesministerium des erforderlich machen. Das habe lesen sind. Leider wurde mir dann
der deutschen Sprache sowie ein Voraussetzungen trotzdem bereits Inneren und für Heimat eine ent- ich schon immer gefordert und am 22. März 2022 bereits meine
Bekenntnis zur deutschen Natio- bei Antragstellung erfüllt sein müs- sprechende Bewertung der Flucht freue mich sehr, wenn nun von Entlassung mitgeteilt, am weite-
nalität belegt werden. Wie ein sol- sen und unvollständige Anträge – aus dem Kriegsgebiet – unabhän- meiner Nachfolgerin im Amt eine ren Geschehen war ich nicht mehr
ches Bekenntnis möglich ist, wurde etwa weil die Sprache noch nicht gig von ihrer Zeitdauer – durch Unterstützung dieser Bemühungen beteiligt.
in § 6 BVFG ebenfalls geregelt und hinreichend beherrscht wird – lei- Ministerentscheidung als unschäd- angekündigt wird. Als mit dem Merkblatt zur
durch das besprochene Urteil dif- der abgelehnt werden. lich anordnen. Hier wünsche ich Wichtig wäre unbedingt, dass Spätaussiedleraufnahme, das am
ferenziert. Betroffene sollten daher Das Gesetz regelt darüber hinaus mir eine nachhaltige Unterstüt- dabei nicht nur neue Lebensre- 20. Juni von der neuen Aussiedler-
sehr genau vorher prüfen, ob alle in § 4 BVFG eine Frist zur Antrag- zung auch durch die derzeitige alitäten (etwa die Kriegssituati- beauftragten veröffentlicht wurde,
Aussiedlerbeauftragte und werde on), sondern auch lange bekann- der Kurswechsel sichtbar wurde,
dieses Anliegen als Präsident des te Sachverhalte bei einer über- war ich bereits Monate nicht mehr
Die Aufnahme von Spätaussiedlern konnte in BdV im nächsten Spätaussiedler- fälligen Kurskorrektur beachtet im Amt. Diesen bedauerlichen und
beirat vorbringen. werden. Damit meine ich z.B. die nach meiner Überzeugung rechts-
der gesamten letzten Wahlperiode konstant häufig willkürlich oder zufällig widrigen Kurswechsel nun rück-
hoch gehalten werden. Wir beobachten die gehäuften vorgenommenen Zuschreibun- wirkend den Verantwortungsträ-
Ablehnungen von Aufnahmean- gen von Angehörigen der deut- gern der vorigen Bundesregierung
trägen erst in den letzten Mona- schen Minderheiten in den Staa- zuzuschreiben, wirkt angesichts
diese Voraussetzungen erfüllt sind. stellung auf Aufnahme von maxi- ten. Die neue Aussiedlerbeauf- ten der ehemaligen Sowjetunion dessen unredlich und verfängt
Wenn auch nur ein Punkt nicht mal sechs Monaten nach Verlas- tragte, Frau Natalie Pawlik, hat in zur Mehrheitsgesellschaft anstatt nicht. Eine Umsetzung noch unter
gesichert ist, müssen Betroffene sen des Heimatgebietes. Diese Zeit ihrer Mitteilung im Februar ange- zur deutschen Minderheit, die lei- Bundesminister Seehofer, die
diesen Punkt zuerst klären und müsste nach aktueller Rechtslage kündigt, eine Änderung durch- der immer noch den Betroffenen nun behauptet wird, ist mir nicht
dann erst einen Antrag stellen. genutzt werden, um alle Voraus- setzen zu wollen und die Bereit- als „Gegenbekenntnis“ zur Last bekannt. Das würde ja bedeuten,
setzungen zu erfüllen. schaft erklärt, die Aufnahme von gelegt werden, obwohl viele dieser dass Entscheidungsträger im BVA
Viele Menschen verlassen auf- Spätaussiedlern an die Lebensrea- Zuschreibungen Teil einer oft aus- einen Kurswechsel vorgenommen
grund der Kriegsereignisse ihre Menschen auf der Flucht haben lität der Menschen anzupassen. grenzenden Minderheitenpolitik, haben müssten, noch bevor die
Heimat, bevor sie alles klä- bekanntlich andere Sorgen, als Die Aufnahme von Spätaussied- und nicht Ausdruck einer Abkehr extra angeforderte und legitimie-
ren konnten. Was können diese etwa Belege beizubringen oder lern konnte in der gesamten letzten von ihrer eigenen Kultur unserer rende Entscheidung der neuen
Landsleute nun machen? Sprachen zu erlernen. Sechs Wahlperiode konstant hoch gehal- Landsleute gewesen sind. Bundesregierung da war!
Gerade um auf die für viele Lands- Monate reichen dafür meist nicht. ten werden, sogar trotz erheblicher Das kann ich mir nicht vorstellen
leute völlig überraschende Kriegs- Was sagen wir diesen Menschen? Herausforderungen durch die 2020 Dabei hat die Aussiedlerbeauf- und möchte auch diesen implizi-
situation zu reagieren und die sich Dieses Problem sehe ich tatsäch- beginnende Corona-Pandemie. Im tragte auch erklärt, der restrikti- ten Vorwurf gegen das BVA nicht
daraus ergebende Fluchtnotwen- lich und habe deswegen gefordert, Jahr 2021 konnten über 7 000 Men- ve Kurswechsel sei bereits unter stehen lassen. Ich habe das BVA
digkeit nicht zu einem Verhinde- eine fluchtbedingte Abwesenheit schen aufgenommen werden, also Bundesminister Horst Seehofer und die allermeisten Mitarbeiter
rungsgrund für die Anerkennung aus dem Heimatgebiet nicht nega- mehr als in den Vorjahren. Dafür a.D. und von Ihnen vorgenommen dort als sehr genaue und konst-
als Spätaussiedler werden zu lassen, tiv zu werten, auch wenn diese gebührt dem damals zuständigen worden. Was sagen Sie dazu? ruktiv um Lösungen bemühte Kol-
habe ich mich unmittelbar nach länger als sechs Monate dauert. Bundesinnenminister Horst See- Das stimmt nicht! Erst nach der legen erlebt, die sich unbefangen
Beginn der Kriegshandlungen als Flucht aus Kriegsgebieten ist ihrer hofer großer Dank wie auch der Bundestagswahl 2021 hat das BVA ihren Aufgaben widmen. Bei der
Aussiedlerbeauftragter, gemeinsam Natur nach meist nur vorüberge- gesamten Fachabteilung des BMI die Entscheidung des Bundesver- Umsetzung der Anerkennungs-
mit der sehr konstruktiv mithelfen- hend und dauert meist so lange, und dem BVA sowie den Aus- waltungsgerichtes gegenüber dem leistung für Zwangsarbeiter, die
den Fachabteilung des BMI, dafür wie das zur Flucht führende Ereig- siedlerbeauftragten der beteiligten BMI thematisiert, mögliche Bewer- gerade auch vielen Russlanddeut-
eingesetzt, ein Härtefallverfahren nis. Die Flucht darf nicht mit dem Länder, die meine Bemühungen tungen vorgeschlagen, Konsequen- schen zugutegekommen ist, oder
für flüchtende Landsleute aus der „Verlassen der Heimat im Wege sehr konstruktiv unterstützt haben. zen dieser Entscheidung skizziert bei der Bewältigung der pandemie-
Ukraine – aber auch aus der Rus- des Aufnahmeverfahrens“ gleich- Dabei denke ich ganz besonders und die Absicht einer „Kurskorrek- bedingten Herausforderungen der
sischen Föderation, wo Deutsche gesetzt werden. Entsprechend an Niedersachsen und Hessen, wo tur“ angemeldet – also erst nach Aussiedleraufnahme in den Jahren
ebenso unter dieser Situation lei- dürfte die gesamte Zeitdauer des die Menschen zunächst angekom- dem Wechsel von Bundesinnenmi- 2020 und 2021 – um nur einige
den – aufzulegen. Dieses Härtefall- Krieges nicht in diese vom Gesetz- men sind, aber auch an Bayern, nister Horst Seehofer zu Bundesin- Beispiele zu nennen – wurde Her-
verfahren bedeutet, dass der Antrag geber vorgesehene Sechs-Monats- Baden-Württemberg, NRW oder nenministerin Nancy Faeser. vorragendes geleistet. Dafür sage
und die Entscheidung darüber nicht Frist eingerechnet werden. Ob die Sachsen. Ich durfte bei der überhaupt ich auch heute noch Danke!
wie im Gesetz vorgesehen noch vor aktuelle Bundesregierung sich die- Die Kriegshandlungen in der ersten Beratung zu dieser Frage,
dem Verlassen des Heimatgebietes ser Forderung anschließen wird, Ukraine haben tatsächlich zu damals bereits unter Staatssekretä- Wir danken für das Interview.